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Homosexualität und Liebesbeziehungen (41621382)
Homosexualität und Liebesbeziehungen | Bildquelle und Copyright: stokkete - Fotolia


Ein sehr guter Artikel um Homosexualität und mögliche Hintergründe zu verstehen wurde von Markus Hoffmann von Wuestenstrom geschrieben.

Das Ziel der Arbeit von wuestenstrom ist es, Menschen, die sich in ihrer Identität als Frau und Mann schwer tun, oder Menschen, die Ihre Sexualität problematisch erleben, Hilfen anzubieten.

Die Zielgruppen sind:

  • Menschen, die Missbrauch erlebt haben
  • Menschen mit Selbstwertproblematik
  • Menschen, die unter abhängigen Beziehungen leiden
  • Menschen mit sexuellen Konflikten wie: Homosexualität, Sexsucht oder heterosexueller Problematik.

Dabei ist die Vision, dass Menschen in christlichen Gemeinden ermutigt werden, in genau diesem Gebiet beraterische Qualifikation zu erlangen und somit das Hilfeangebot von Wuestenstrom zu multiplizieren.

Wuestenstrom geht davon aus, dass der Mensch in seinen sexuellen Konflikten und seinen Schwierigkeiten von Motiven bewegt wird, die aus seiner Lebensgeschichte stammen. Im Mittelpunkt dieser Motive stehen häufig Fragen nach dem "Wer ich als Mann oder Frau bin", Beziehungsängste oder traumatische Beziehungserfahrungen oder Motive von Erfolglosigkeit und Niedergeschlagenheit. Wichtig ist, diese Motive zu erkennen und dem Ratsuchenden zu helfen, eine gelingende Identität aufzubauen, angstfreie selbstbewusste Beziehungen zu leben und seinen eigenen Wert und Selbstwert zu erkennen und ins Leben einbringen zu können.

Homosexualität – Sichtweisen

Wer sich mit dem Thema Homosexualität beschäftigt, ist gehalten, sich über einige Fragen Klarheit zu verschaffen:

  • Wollen homosexuelle Menschen überhaupt Hilfe?
  • Wie ist Homosexualität zu verstehen?
  • Ist Homosexualität veränderbar?

Wer ist der Homosexuelle?

Folgt man der Diskussion in der Öffentlichkeit, kann man den Eindruck gewinnen, alle homosexuell empfindenden Menschen hätten dasselbe Anliegen und wollten zum Beispiel in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben. Dies stimmt aber nicht mit der Lebenswirklichkeit von homosexuell empfindenden Frauen und Männern überein, die uns in der Beratung begegnen. Auch die Statistik legt uns eine differenziertere Betrachtung nahe.

Eine groß angelegte, repräsentative Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts emnid hat im Auftrag des Webportals eurogay.de im Jahr 2000 zum Beispiel aktuelle Daten zum Thema Homosexualität geliefert: Demnach bezeichnen sich in Deutschland 1,3 % der Männer und 0,6% der Frauen als homosexuell. In derselben Statistik bezeichnen sich 2,8 % der Männer und 2,5% der Frauen als bisexuell. Besonders interessant ist nun aber die Zahl derer, die sich als heterosexuell bezeichnen, durchaus aber homosexuelle Empfindungen und Phantasien kennen: so beschreiben sich nämlich 9,4% der Männer und sogar 19,5% der Frauen. Das erste und mindeste, was wir in dieser Statistik somit verstehen können, ist die Tatsache, dass wir nicht von einer Eindeutigkeit oder Festgelegtheit sexueller Orientierungen ausgehen dürfen.

Entsprechend begegnen wir Menschen, die mit ihren homosexuellen Empfindungen ganz unterschiedliche Selbstzuschreibungen oder Ziele verbinden: Darunter sind Menschen, die ihre Homosexualität als ihre Identität bezeichnen und nicht die Absicht haben, an ihrer Homosexualität etwas zu verändern. Wenn wir ihnen überhaupt in der Beratung begegnen, dann möchten sie nicht ihre grundsätzliche Orientierung ändern, sondern mit anderen Problemen, zum Beispiel Beziehungsschwierigkeiten, einen Ort der Hilfe finden. Dann gibt es Menschen, die sich nicht als homosexuell bezeichnen, durchaus aber “ bewusst zeitweise und vorübergehend “ Sexualität mit dem gleichen Geschlecht ausprobieren und leben möchten. Dies ist gerade in der jüngeren Zeit ein häufiger werdendes Phänomen. Diese Menschen möchten für sich am ehesten die Freiheit haben, sich erproben zu dürfen und suchen selten die Beratung auf, um konkrete Veränderungen im Bereich ihrer Identität oder ihrer Beziehungen anzustreben. Schließlich begegnen uns in der Beratung Menschen, die eine konkrete Veränderung ihrer sexuellen Orientierung suchen. Sie suchen vor allen Dingen einen Raum, wo sie frei ihren Sehnsüchten und Ängsten nachspüren können, ohne den Druck, sich an erwarteten oder vorgegebenen Identitäten oder Orientierungen angleichen zu müssen.

Was ist Homosexualität und ist die sexuelle Orientierung denn veränderbar?

Bevor man im Raum von Kirche und Gesellschaft mit dieser Frage aufsteht, wird man mit dem Argument, Homosexualität sei Veranlagung oder eine Schöpfungsvariante, zum Stillsitzen gezwungen.

Ein genauerer Blick in die Sexualwissenschaften zeigt aber: Der Ansatz, der sich als so genannte Gen-, Hormon- oder hirnorganische These in den Köpfen von vielen festgesetzt hat, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Vor allem sind zwei Kritikpunkte zu nennen:

Der erste kommt aus der biomedizinischen Forschung selbst und besagt, dass die Untersuchungen in sich zu starke Mängel zeigen, um Beweise im wissenschaftlichen Sinne darzustellen. Dean Hamers These vom Schwulen-Gen wurde in den Medien viel besprochen. Was kaum einer berichtet ist, dass er seine Ergebnisse viel vorsichtiger beurteilt und selbst zugibt, dass bislang kein anderes Genlabor der Welt seinen Versuch wiederholen konnte. Auch sei nicht geklärt, inwieweit Anlage und Umwelt im Bereich der männlichen Homosexualität zusammenwirken. Eine Untersuchung von George Ebers bewies, dass kein Zusammenhang zwischen dem von Hamer gefundenen Genabschnitt und der sexuellen Orientierung besteht.

Günter Dörners Hormonuntersuchung an Ratten konnte nicht eindeutig nachweisen, dass homosexuelles Verhalten durch ein Mehr an weiblichen Hormonen bei Männern ausgelöst werden kann. Derselbe Hormonversuch bei Affen schlug gänzlich fehl.

Simon LeVay wollte durch seine hirnorganischen Untersuchungen belegen, dass homosexuelle Männer, ähnlich wie Frauen, kleinere INHA3-Kerne im Mittelhirn haben. Heterosexuelle Männer dagegen hätten größere Kerne. Er führte die Untersuchungen aber an Gehirnen von verstorbenen Aidskranken durch. Es ist allgemein bekannt, dass Aids das Gehirn verändert. Eine wissenschaftliche Vergleichbarkeit mit gesunden Gehirnen ist daher nicht mehr möglich. Zudem war die Stichprobe zu klein.

Der zweite Einwand kommt von den Sexualwissenschaften und betont, der ganze Ansatz der Ursachenforschung sei ”... schon gleich zu Beginn ideologisch vorbelastet ...”[1]. Gunter Schmidt, Sexualwissenschaftler in Hamburg, kritisiert in diesem Zusammenhang die Medizin und die Homosexuellenbewegung, durch die Schaffung des typischen Homosexuellen eine Zwangshetero- und Zwangshomosexualisierung hervorgebracht zu haben. Dies hätte zur Folge, dass Menschen sich in zwanghafter Manier einer sexuellen Orientierung zuordnen würden “und dies für die - im Wortsinn - natürlichste Sache der Welt halten” [2]. In dieser Gegenrede wird die Auffassung der heutigen Sexualwissenschaften seit Kinsey berührt.

Schon Alfred Kinsey, obwohl er sich noch einem biologistischen Erklärungsmodell von Sexualität verpflichtet sah, erkannte in der sexuellen Orientierung eines Menschen etwas, das sich im Laufe seines Lebens und sogar in einer einzigen sexuellen Situation verändert.[3] In der Nachfolge von Kinsey kamen unterschiedliche Arbeiten auf den Markt, die im Wesentlichen davon ausgingen, dass weder der Heterosexualität noch der Homosexualität spezifische biomedizinische Gegebenheiten zugrunde liegen. Vielmehr erwirbt der Mensch im Zuge von Sexualisation seine sexuelle Orientierung, wobei die vorherrschenden kulturellen Bedingungen und Wertsysteme auf diese Entwicklung Einfluss nehmen.[4] Nach dieser Theorie gibt es keine Homosexualität, Bisexualität oder Heterosexualität mehr, sondern allenfalls nur noch Sexualitäten, die individuell verschieden sind.[5]

Die Sexualwissenschaftler fordern daher ein offenes Konzept, welches das Kontinuum von Heterosexualität und Homosexualität erfasst und weniger nach den Etiketten fragt. So überlegt Gunter Schmidt, der von Fällen der Veränderung zu berichten weiß, ob “... wir nicht ein besseres Verständnis für ... Sexualität und Partnerwahl bekommen, wenn wir die Etiketten beiseite lassen und fragen, was ... (der Mensch) bei verschiedenen Partnern sucht, was die unterschiedlichen Partner in ihm auslösen”.[6]

Zwar mag der eine oder andere Christ dieser Auffassung von Sexualität stirnrunzelnd entgegentreten, aber immerhin besagt sie, dass Sexualität viel plastischer und veränderbarer ist, als das gemeinhin zugegeben wird. Der Satz “Einmal schwul, immer schwul” ist keine These der Sexualwissenschaften. Christen müssen sich daher nicht setzen, wenn sie mit der These der Veränderbarkeit aufstehen. Denn Veränderung von Homosexualität ist etwas, was in der Realität von Sexualität beobachtet werden kann. Das plastische und flexible Begreifen von Sexualität innerhalb der Sexualwissenschaften hat sicherlich nicht den Zweck, über die Veränderbarkeit von sexuellen Orientierungen nachzudenken. Die Sexualwissenschaftler sehen ihre Konzepte meist im Horizont einer Individualethik, nach der jeder Mensch das Recht hat, seine eigene Wahl zu treffen. Vor allem Gunter Schmidt macht klar, dass es sich bei der Homosexualität um eine Sache handelt, die in den Entscheidungsbereich des Menschen fällt. Um diese Entscheidung aber für alle Seiten flexibel zu halten, ist es ethisch geboten, für diejenigen nach therapeutischen Veränderungsmöglichkeiten zu fragen, die sich nicht für eine “homosexuelle Identität” entscheiden wollen, sondern eine Veränderung wünschen. Die These der willentlichen Veränderung - und das ist der Punkt, auf den es ankommt - beruht auf einer Entscheidung. Dieser Entscheidung geht eine ethische Vorentscheidung voraus. Wer hofft, sich aufgrund einer biomedizinischen Fixierung dieser Gewissensfrage entziehen zu können, ist innerhalb der Sexualwissenschaften an der falschen Adresse.

(Homo-) Sexualität und innerpsychische Fragen

Ähnlich wie Gunter Schmidt stellen auch wir als Seelsorger und Therapeuten fest: Der Mensch ist in der Sexualität häufig ein Suchender, wobei ich das Wort Sexualität nun bewusst gewählt habe. Denn was wir in unserer Beratungspraxis beobachten, ist, dass nicht nur der homosexuell empfindende Mensch mittels seiner Sexualität eine Lebensfrage beantwortet, sondern auch jeder andere, unabhängig davon, welche sexuelle Orientierung er in sich trägt. Was aber versucht er über seine Sexualität zu lösen? Wir machen vier Feststellungen:

Der Mensch “repariert” etwas mit seiner Sexualität

Auf die erste weisen uns Simon und Gagnon, zwei amerikanische Forscher, hin. Sie kommen zu der Aussage, dass sich der Mensch in seiner Sexualität nicht zuerst die Frage nach Erregung und Sex beantwortet, sondern eine, die aus dem Bereich seiner Gesamtpersönlichkeit stammt. So Peter[7]. Wenn er in den Spiegel schaut, weiß er nicht, wen er sieht. Wenn er sich aber in seiner Phantasie vorstellt, ein anderer zu sein und mit einem anderen Mann zu verschmelzen, dann kann er das Leeregefühl, das er seinem Körper gegenüber hat, kurzzeitig überwinden. Simon und Gagnon sprechen davon, dass der Mensch mit seiner Sexualität etwas “repariert”; das ihm in sich fehlt.

Der Mensch löst einen Angst- und Sehnsuchtskonflikt

Die zweite Feststellung, die uns in unserer Praxis leitet, geht auf die Sexualwissenschaftler Robert Stollen, Eberhard Schorsch und Friedemann Pfäfflin zurück. Nach ihrer Auffassung ist Sexualität der Ort, an dem der Mensch sich illusionär eine Antwort auf die Sehnsüchte geben kann, für die er in seinem Leben bislang keine Antwort gefunden hat. Außerdem ist sie ein Instrument, um Angst zu überwinden. Dies ist an der Beschreibung von Stefans Fall gut nachvollziehbar. Er berichtet, dass er sich schon immer vor Männern gefürchtet habe. Er dachte, sie lehnten ihn ab und lachten ihn aus. Jedoch habe er sich häufig dabei ertappt, wie er am Rande des Schulhofes gestanden und sich nach nichts mehr gesehnt habe, als zu den Jungen zu gehören, die sich dort gerade rauften. In seiner homosexuellen Phantasie und den sexuellen Kontakten mit Männern erlebte Stefan später, dass er Angst vor Ablehnung überwinden und das Gefühl spüren konnte, durch die Umarmung eines Mannes zur Gruppe der Männer zu gehören.

Der Mensch behandelt Sehnsüchte in seiner Sexualität

Die dritte Feststellung, die wir machen, beantwortet schließlich die Frage nach dem, was der Mensch sucht, auf einer noch tieferen Ebene. So stellen Eberhard Schorsch und Friedemann Pfäfflin in ihren Untersuchungen zur sexuellen Orientierung fest, dass der Mensch in seiner Sexualität drei Fragen zu beantworten sucht:

  • die nach der geschlechtlichen Identität,
  • die nach sozialer Bestätigung und Annahme von dem, was ein Mensch als Identität in sich wahrnimmt
  • und die nach Integration der geschlechtlichen Kraft als Teil der Identität.

Diese Identitätssehnsüchte können homosexuell Empfindende in dreierlei Hinsicht bewegen:[8]

  • Die Frage nach der Kerngeschlechtlichkeit oder der “core gender identity”: Menschen mit diesem Anliegen haben häufig kein Bewusstsein hinsichtlich ihrer geschlechtlichen Zugehörigkeit, wissen oft nicht, wer sie eigentlich sind oder fragen sich, ob sie überhaupt einen weiblichen oder männlichen Körper haben. Homosexualität drückt sich bei ihnen meist in Phantasien aus, in denen sie sich danach sehnen, den Körper, die Eigenschaft oder das Wesen eines Gleichgeschlechtlichen zu besitzen.
  • Die Sehnsucht nach Bestätigung von dem, was als Identität wahrgenommen wird (“gender identity”): Personen mit dieser Sehnsucht spüren in sich zwar eine gewisse Kerngeschlechtlichkeit oder Identität, brauchen dafür aber die Bestätigung durch das gleiche Geschlecht. In ihren homosexuellen Phantasien sehnen sie sich daher eher nach Personen, die sie annehmen, lieben und wertschätzen.
  • Der Wunsch nach Vertrauen in die eigene genitale Vollwertigkeit: Den hegen Menschen, die Zweifel daran haben, ob sie geschlechtlich funktionieren, ihr Geschlechtsteil die richtige Größe hat und vieles andere mehr. Das homosexuelle Interesse richtet sich bei ihnen hauptsächlich auf Personen, die nach ihrer Meinung diese geschlechtliche Vollwertigkeit besitzen.

Die Sehnsüchte haben eine lebensgeschichtliche Wurzel

Die vierte Feststellung schließlich ist, dass die Suche nach Identität meist aus der Lebensgeschichte des Menschen entstammt. Wir können den lebensgeschichtlichen Zusammenhang nur verstehen, wenn wir uns zunächst die Funktion von geschlechtlicher Identität verdeutlichen. Sie ist die Instanz im Menschen, die ihm hilft,

  • sich als Mann oder Frau in einem Körper zu erleben (core gender identity);
  • sich als Mann oder Frau von Geschlechtsgenossen bestätigt zu fühlen (gender identity);
  • sich als Mann oder Frau mit männlicher oder weiblicher Kraft zu empfinden (genitale Vollwertigkeit).

Identität funktioniert dabei wie ein Sicherheitsgefühl. Wenn es vorhanden ist, ist es kaum zu spüren und zu beschreiben. Wird es aber diffus empfunden oder ist es verloren gegangen, dann sehnt man sich danach zurück oder versucht alles, um diese Sicherheit wiederherzustellen. Diese Sicherheitsinstanz, die uns darüber Auskunft gibt, wer wir sind, ist etwas, das wir in unserem Leben im Dialog mit der Umwelt langsam aufbauen. Für den Mann und die Frau ist dabei der Dialog mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil und in der Gruppe der gleichgeschlechtlichen Altersgenossen von großer Bedeutung.

Wird dieser Dialog durch die Abwesenheit oder emotionale Distanz des gleichgeschlechtlichen Elternteils[9] oder durch Nicht-Gelingen von Beziehungen in der Gruppe der Gleichgeschlechtlichen erschwert oder verhindert, dann können sich die Sicherheit und die Gewissheit, Frau oder Mann zu sein, als eigenes inneres Bewusstsein nur schwer aufbauen.

Was bleibt, ist ein diffuses Gefühl von Identität, das meist große Angst, Unsicherheit, Minderwertigkeit und Hunger nach Bestätigung und Selbstvergewisserung nach sich zieht. Dieser in der Lebensgeschichte verankerte Hunger führt letztlich dazu, dass Betroffene versuchen, mittels illusionärer Sexualität diesen zu stillen.

Reale Beziehungen im Alltag können aufgrund der lebensgeschichtlichen Erfahrung dagegen nur schwer als Ort von Bestätigung und Annahme erlebt werden. Im Gegenteil: In die Alltagserfahrungen werden meist übergroße Erwartungen gesetzt, die sich darin spiegeln, endlich den Freund, die Vater- oder Mutterfigur zu bekommen, die allen Hunger stillt. Dieser Sehnsucht steht die in der Lebensgeschichte begründete Angst gegenüber, genau dies nie zu bekommen. Aus diesem Komplex ergibt sich der von Schorsch und Pfäfflin beschriebene Bedürfnis- und Abwehrkonflikt, den Betroffene dann im Raum illusionärer Sexualität meinen überwinden zu können.

Diesem lebensgeschichtlichen Hintergrund, der sich in übersteigerten Bedürfnissen und Abwehrhaltungen niederschlägt, ist in Seelsorge und Beratung Beachtung zu schenken.

Der Mittelpunkt des homosexuellen Problems

Mit diesen Faktoren ist nun beschrieben, dass sich der homosexuell empfindende Mensch nach einer Stimme sehnt, die ihm zuverlässig darüber Auskunft gibt, wer er ist. Letztlich ist er auf der Suche nach seiner Identität.

Wenn es daher gelänge, diese selbstbewusste Stimme als beständige Kraft und als inneres Wissen in ihm aufzubauen, dann könnte er das homosexuelle Verhalten lassen. Denn dieses Verhalten und die homosexuelle Phantasie haben ja nur die Funktion, die fehlende Stimme durch eine idealisierte Person außerhalb seiner selbst zu ersetzen. Damit ist bereits das Ziel des Veränderungsprozesses umrissen, der aber nur dann gelingt, wenn

  • der homosexuell Empfindende sich klarmacht, dass das homosexuelle Gefühl bzw. Verhalten nicht das eigentliche Problem ist, sondern nur ein Mittel, um einen tieferen Konflikt in sich zu lösen;
  • er seinen Identitätskonflikt erkennen lernt, der auf einer oder mehreren der genannten drei Ebenen angesiedelt sein kann;
  • er seinen Identitätskonflikt als einen inneren Bedürfnis- und Abwehrkonflikt erkennen kann;
  • er erkennt, dass dieser Konflikt nur lösbar ist, wenn er lernt, sich sein Bedürfnis nach Zuspruch von Identität in realen und nicht in illusionären sexuellen Beziehungen zu erfüllen;
  • er in realen Beziehungen ein inneres Identitätsempfinden aufbauen kann, was meist nur durch den Abbau von in der Lebensgeschichte begründeten überspannten Erwartungen einerseits und von Angst und Abwehrstrukturen andererseits gelingen kann.

Trennung von Therapie und Seelsorge

Im Ansatz zur Begleitung von homosexuell empfindenden Menschen trennen wir zwischen therapeutischem und seelsorgerlichem Handeln. Nicht, weil in der Seelsorge keine Therapie und in der Therapie keine Seelsorge stattfinden könnte, sondern wir wollen den besonderen Wert von Therapie und Seelsorge je für sich unterstreichen.

Die Seelsorge ist der Ort, an dem die Beziehung des Menschen zu Gott im Mittelpunkt steht.

Im Zusammenhang von Seelsorge darf er sich von Gott sagen lassen, wer er ist. Diesem Zuspruch rechnen wir, entsprechend dem Zeugnis der Bibel, eine lebensverändernde Kraft zu. Folgen wir Genesis 1, 26 ff, erfährt der Mensch von Gott her, dass er als Mann oder Frau gemeint und geschaffen ist; er erfährt, dass Gott auf seine Sehnsucht nach Anerkennung durch Beziehung antwortet: “Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei” (Gen. 2, 18). Und Gott ist es auch, der in Bezug auf die Sehnsucht nach geschlechtlicher Vollwertigkeit den Segen der Fruchtbarkeit legt (Gen. 1, 28). So rührt Gottes Zuspruch in der Seelsorge eine letztgültige, ewige Wirklichkeitskategorie an, die Grundlage für eine existentielle Lebensveränderung ist.

Im therapeutischen Setting arbeitet der Betroffene auch an den Fragen seines Mann- oder Frauseins, an seinen Beziehungen oder an seiner Befähigung und Kraft. Dieses geschieht auf der Beziehungsebene Mensch - Mensch und bedient sich menschlicher Techniken des Verstehens- oder der Verhaltensänderung.

Auf diese Weise kann dem, der nach einem Identitätsempfinden als Mann bzw. Frau sucht, in der Seelsorge etwas zugesprochen werden, was er so nie zuvor gehört hat. Diesem Zuspruch zu glauben und ihn in angstfreien Beziehungen umzusetzen, dazu kann dann die Therapie beitragen, indem sie zum Beispiel dysfunktionale Denkmuster abbauen hilft und ein Beziehungsverhalten anbahnt, das geeignet ist, den Zuspruch Gottes auch in der Beziehung zu Menschen zu erleben.

Der Aufbau des Seelsorge- und Therapieprozesses

1. Schritt: Information

Erster Schritt zur Veränderung eines sexuellen Konflikts ist die Information darüber, dass der Betroffene im sexuellen Konflikt ein ungestilltes Bedürfnis inszeniert. Wobei das Bedürfnis nicht den Charakter von Sünde hat, sondern an und für sich gut ist. Er soll daher angehalten werden, sein sexuelles Problem anzuschauen, um das darunter liegende Bedürfnis zu erkennen. Viele kommen zu uns in die Beratung und meinen, sie könnten ihre Homosexualität nur so bewältigen, indem sie sie verdrängen oder ein Verhalten entwickeln, das Männlichkeit oder Weiblichkeit in ihnen verursacht. Dem Problem der Homosexualität einfach ins Gesicht zu sehen ist sehr schwer. Aber genau das muss geschehen, damit man das darunter liegende Bedürfnis erkennt.

Ralf kommt in die Beratung. Es fällt ihm schwer, das Wort Homosexualität in den Mund zu nehmen. Im Rahmen des Beratungsgesprächs informiere ich ihn, wie er sein homosexuelles Problem verstehen darf. Dabei verwende ich zwei Kategorien: Ich erläutere ihm, dass unter dem scheinbar so schrecklichen Gesicht seiner sexuellen Sünde ein tiefes Bedürfnis schlummert. Dies muss er benennen und sich entfalten lassen. Dann mache ich ihm vom Wort Gottes her klar, dass Gott sein Bedürfnis bejaht. - Ich beobachte, wie Ralf sich im Laufe des Gesprächs entspannt. Am Ende sagt er, er habe nie geglaubt, dass Gott so barmherzig sein könne. Zum ersten Mal habe er sich verstanden und nicht als “perverser Homosexueller” abgelehnt gefühlt.

2. Schritt: Kognitive Trennung

Nun wird eine erste Trennung zwischen sexuellem Konflikt und Bedürfniskonflikt vollzogen. Damit wird gesagt, dass das Bedürfnis zwei Seiten hat, eine illusionäre und eine zur Realität hin orientierte. Der Betroffene soll unterscheiden lernen zwischen wahrem Bedürfnis und dem Bedürfnis, das er im illusionären Raum der Sexualität zu befriedigen suchte. Der Prozess der Wahrnehmung ist eingebunden in das Wissen, dass Gott uns einen Raum des Seins gibt. Wir dürfen zunächst ankommen, ohne dass wir etwas sein müssen. Wenn alles im Angesicht Gottes präsent sein kann, dann kann auch alles wahrgenommen und benannt werden.

Ralf kann im zweiten und dritten Gespräch schon sehr frei über seine Homosexualität reden. Wir arbeiten mit einer Bildkartei, aus der Ralf sich ein oder zwei Männer heraussuchen soll, denen er normalerweise auf der Straße nachschaut. Ich frage ihn dann: “Wenn du diesen Mann auf der Straße siehst, was soll er dir sagen, was wünschst du dir von ihm, was würdest du gern zu ihm sagen?” So breche ich die homosexuelle Illusion auf. Ralf kann sehr schnell erklären, dass er gar nicht will, dass der Mann mit ihm redet, sondern er möchte dessen Körper haben und so aussehen wie er.

Dann erzählt Ralf von seinem Körperempfinden. Er schaut sich im Spiegel an und fragt sich, wer ihm da gegenübertritt. Er schämt sich für seinen Körper und möchte ihn am liebsten verstecken. Dieses Gefühl begleitet ihn schon seit seiner Kindergartenzeit. Wenn er den Körper eines anderen Mannes hätte, so denkt er, dann wäre alles gut.

Bei Ralf tritt zu Tage, dass er in seiner sexuellen Illusion nach einem Körpergefühl hungert, das er sich in der Realität nicht erfüllen kann. - Ich übe mit Ralf ein, sich in der Gegenwart Gottes seines Körpers bewusst zu werden. Das soll ihm helfen, Kontakt mit seinem Körper, den er von sich abgespalten hat, aufzunehmen, damit er sieht, was er ablehnt und was er als gut empfinden kann. Die Wahrnehmung des Körpers in der gnädigen Gegenwart Gottes soll ihm auch dabei helfen, sich zu spüren. Diese Gefühlsstrukturen braucht er, damit er eine Wahrnehmung aufbauen kann, die es ihm ermöglicht, seinen Körper neu kennen zu lernen.

An dieser Stelle der Beratung ist wichtig, dass für den Ratsuchenden eine Atmosphäre des Schutzes und der Versorgung geschaffen wird. Auf einer oberen Ebene wird versucht, ihm Hilfsmittel anzubieten, die dazu beitragen, gegen die Praxis der illusionären Problemlösung etwas anderes zu setzen.
Hilfreich ist:

  • Formen der Glaubenspraxis und der persönlichen Stille vor Gott zu vertiefen, die dem Wesen des Ratsuchenden entsprechen;
  • Wege der Entspannung und des Körperempfindens aufzubauen, die dem Ratsuchenden leicht zugänglich sind und die er im Alltag auch umsetzen kann;
  • Freundschaften und Beziehungen, die schon vorhanden und leicht aktivierbar sind, einzubeziehen;
  • die Integration in ein soziales Netz, damit möglichst viele natürliche Chancen des emotionalen Angesprochenseins wahrgenommen werden können;
  • sinnvolle Formen der Freizeitbeschäftigung zu finden oder zu verstärken, die den Erlebnishorizont des Alltags erweitern.

Ziel ist, dem Ratsuchenden auf einer einfachen Ebene zu mehr Lebensqualität zu verhelfen, damit er spürt, dass es bei einem Veränderungsprozess nicht in erster Linie um Verzicht geht, sondern darum, zum Leben zu finden. Gleichzeitig wird ein Schutzraum für den Zeitpunkt geschaffen, der die Trennung von der illusionären Bedürfnisbefriedigung einleitet.

3. Schritt: Die Trennung

Im dritten Schritt wird die Trennung zwischen sexuell illusionärer Bindung und dem wahren Bedürfnis vollzogen. An dieser Stelle ist es notwendig, dass sich Menschen der Realität neu zuwenden. Hier ist der Akt der Umkehr von wesentlicher Bedeutung. Das Kreuz Christi ist der Ort der Umkehr zum Leben. Dort finden Scheidung und Lösung von Sünde statt. Dies ist im Glauben täglich neu zu ergreifen.

Menschen, die an dieser Stelle des Prozesses stehen, befinden sich “in der Wüste”. Denn sie verlassen die alten illusionären Lösungsmuster, obwohl die Form der Beziehungsorientierten Bedürfnisbefriedigung noch nicht greifbar ist.

Viele steigen an dieser Stelle aus der Beratung aus. Sie können sich nicht vorstellen, dass es jenseits der sexuellen Illusion ein befriedigendes Leben geben kann. Auch Ralf zweifelt, ob er diesen Schritt gehen will. Ich erkläre ihm, dass er nicht auf der einen Seite an den Gewohnheiten seiner Illusion festhalten und auf der anderen ein positives Körperbewusstsein aufbauen kann. Dieser Schritt ist natürlich nur möglich, wenn es im zweiten Schritt gelungen ist, gemeinsam mit dem Ratsuchenden die Lebensqualität zu steigern.

4. Schritt: Das Bündnis mit dem realen Bedürfnis

Der vierte Schritt ist dadurch gekennzeichnet, dass der Ratsuchende ein Bündnis mit dem wahren Bedürfnis nach Personsein, bestätigender Beziehung oder vollwertiger Geschlechtskraft eingeht. In diesem Bündnis ist die Beziehung zum Berater von großer Bedeutung, ebenso das Wort Gottes, von dem her der Ratsuchende hören kann, dass Gott selbst sich mit der Bedürftigkeit des Menschen verbindet. - Neben dieser Verankerung ist es notwendig, mit dem Ratsuchenden konkrete Schritte auszuhandeln, die ihn der Bedürfniserfüllung näher bringen. Hier geht es um die Benennung konkreter Handlungsorte und Beziehungen, in denen er das wahre, Realitätsbezogene Bedürfnis wagen kann.

Mit Ralf gelingt es in dieser Phase, einen Vertrag mit dem Inhalt abzuschließen, sich für sein Bedürfnis, einen “männlichen Körper” zu haben, einzusetzen. Zur Umsetzung des Vertrages muss er konkrete Dinge überlegen, die ihm helfen könnten, dieses Körpergefühl aufzubauen. Nur wenn es gelingt, das in der Identitätssehnsucht thematisierte Bedürfnis im Alltag festzumachen, kann die nächste wichtige Stufe der Therapie eingeleitet werden.

5. Schritt: Polarisierung von Abwehr und Bedürfnis

Im fünften Schritt wird eine Phase der Polarisierung des Bedürfniskonflikts eröffnet. Wurde das Bedürfnis bislang als eindeutiger Wunsch wahrgenommen, spürt der Betroffene nun, dass sich gerade dann, wenn er sein Bedürfnis befriedigen möchte, Abwehr mobilisiert und illusionär überspannte Erwartungen hochgespült werden. Dies verläuft so: Ich habe einen Wunsch, die Erfahrung aber sagt mir, dass ich diesen Wunsch von niemandem erfüllt bekomme. An diesem Punkt wird die Gestalt des Abwehr- und Bedürfniskonflikts sichtbar. Die überspannte Erwartung beruht auf einer großen ungestillten kindlichen Sehnsucht. Diese liefert meist einen Zugang zu den lebensgeschichtlichen Konflikten, die für den Bedürfniskonflikt auslösend waren.

Die Abwehr beruht auf lebensgeschichtlichen Erfahrungen. Meist sagen Betroffene: “Nie habe ich Annahme oder Bestätigung erlebt, warum sollte ich sie gerade jetzt bekommen?” In dieser Phase stehen sie vor der Entscheidung, das alte Muster ihres Bedürfniskonflikts beizubehalten oder es aufzugeben und gegen alle Erfahrungen neues Erleben zu wagen.

Ralf erzählt in der Beratung von Erfahrungen, die er mit seinen Bedürfnissen gemacht habe. Er sagt, dass er wohl nie ein positives Körpergefühl aufbauen könne. Zu stark seien auf der einen Seite seine Sehnsüchte und auf der anderen Seite seine Ängste. Vor der Beratung wäre er zwar unzufrieden, aber nicht so schlecht drauf gewesen.

Ich erkläre Ralf, dass diese Reaktion normal sei. Jetzt, da er sich entschieden habe, sein Bedürfnis nicht mehr in illusionären Beziehungen zu inszenieren, werde das Ausmaß seines inneren Konflikts offenbar. An dieser Stelle der Beratung gelingt es, die ablehnenden Stimmen hörbar zu machen und den lebensgeschichtlichen Konflikt hinter dem Bedürfniskonflikt zu begreifen.

So erzählt Ralf, dass er schon als kleiner Junge von seinem Vater als Schwächling, Muttersöhnchen und Schoßhündchen verlacht wurde. Deshalb begann er schon früh, sich mit den vermeintlich stärkeren Jungen im Kindergarten zu vergleichen. Das setzte er später in der Schule fort. Sein Vater unternahm nie etwas mit ihm. Später hatte er Angst, an den rauen Spielen anderer Jungen teilzunehmen. Im Sportunterricht wurde er verlacht und ausgegrenzt. Mit acht Jahren hatte er zum ersten Mal den Gedanken, sich einen anderen Körper “anzueignen”, um auch ein richtiger Junge zu sein. In der Pubertät erfüllte er sich diesen Wunsch in seinen Masturbationsphantasien, später beim Sex mit anderen Männern.

In seinen inneren Stimmen der Abwehr konnte Ralf vor allem diejenige hörbar machen, die er seinem Vater zuordnete. Zentral in diesen Botschaften war der Satz: “Ich habe keinen männlichen Körper!”

6. Schritt: Überwindung von Überspannung und Abwehr durch Vergangenheitsarbeit

Im sechsten Schritt werden die vergangenen Anteile bearbeitet. In dieser Phase spielen Vergebung und Versöhnung als von Gott geschenkte Möglichkeiten eine zentrale Rolle. Dadurch wird Abwehr abgebaut. Das gleiche gilt für die Trauerarbeit. Durch sie wird die unerfüllte Sehnsucht, die sich in der kindlichen Überspanntheit äußert, überwunden. Ziel ist es, zu einer Neuentscheidung zu finden.

Ralf soll spüren, dass ihm das Leben mit vielen realen Beziehungen offen steht. Für Ralf beginnt ein Versöhnungsprozess, nachdem ihm bewusst geworden ist, welche inneren Botschaften sein Leben steuern. Langsam kommen wir an die tiefen Verletzungen heran, die er in der Beziehung zu seinem Vater erlebt hat. Er spürt, dass die Vergebung ihm hilft, die falschen Vaterbotschaften von sich zu trennen und sie nicht länger wie Bewertungen auf seinem Körper ruhen zu lassen. Im Versöhnungsprozess durchschreitet Ralf viele Phasen, so z. B., dass er spürt, wie er seinen Vater für all das hasst, was er ihm angetan hat. Lust auf Versöhnung und Vergebung empfindet er nicht. Aber gerade in dieser Phase wird ihm bewusst, jemand hat unrecht an ihm gehandelt. Er lernt, zwischen der Schuld des Vaters und der Bewertung, die er in sich als Körperkonzept aufgenommen hat, zu unterscheiden. So kommt er zu der Aussage, es sei nicht wahr, dass er einen unmännlichen Körper habe.

Nach dieser Feststellung kommt Ralf in eine Phase, in der er darüber trauert, durch den Glauben an diesen vom Vater geäußerten Satz seine Jugend verpasst zu haben. Eigentlich hätte er gerne, der Vater möge ihm alles erstatten. Ich erkläre Ralf, dass dies nicht möglich sei. Denn die vergangene Zeit ist unwiederbringlich. Mit dieser Erkenntnis begräbt er gleichzeitig die übersteigerte Erwartung, irgendjemand könnte ihm seine Jugend ersetzen.

Am Ende des Vergebungsprozesses merkt Ralf, dass er die Erwartung nach Bestätigung nicht mehr auf andere Männer projizieren muss. Er beginnt, sich abzugrenzen und sich mehr und mehr positiv zu empfinden. Für ihn ist dies ein wichtiger Schritt und eine Entscheidung in die richtige Richtung: “Ich habe einen männlichen Körper, und ich darf ihn so entfalten, wie es für mich passend ist.” Er setzt damit in Ansätzen eine emotionale Neuentscheidung um. Sie ist die Folge des Versöhnungsprozesses.

Auch in der Männergruppe, die Ralf neben der Einzelberatung besucht, gelingt es ihm allmählich, ohne Vorbehalte anwesend zu sein. Anfangs war er immer um seine Wirkung bemüht. Nachdem er aber gelernt hatte, die Gruppe zu fragen, wie sie ihn sähe, stellte sich bei ihm eine wachsende Gelassenheit ein. Die ständigen Gedanken, ob er nun männlich wirke oder nicht, spielten für ihn kaum noch eine Rolle.

7. Schritt: Aufbau von Identitätskontinuität

Im siebten Schritt soll der Ratsuchende lernen, dass er durch reale Beziehungen, in die er nun angstfrei hineingehen kann, einen Zuwachs an Identitätskontinuität erhält. Das Beziehungserleben wird entspannt, und die eigene Kraft kann erprobt und erfahren werden. Letztlich wird in dieser Phase der Hunger gestillt, der ihn in die Illusion des sexuellen Konflikts auswandern ließ. - Diese Erfahrung machen die Betroffenen zunächst in wenigen Beziehungen. Ralf erlebt zunehmend, dass er in nicht erotischen Männerbeziehungen Bestätigung für seinen Körper erhält. Er wird auch immer freier, sich selbst in seinem Körper zu erleben. Er traut sich nun, Dinge zu tun, die er vorher nie gewagt hätte: Er experimentiert mit Kleidung, geht hin und wieder in die Disko, misst sich im Sport mit anderen u.v.a.m. Für Ralf ist es in dieser Phase besonders wichtig, sich ein Repertoire anzueignen, das es ihm erlaubt, sein neues Erleben mit seinem Bewusstsein zu verbinden. Denn viele Betroffene erleben Neues, registrieren es aber eher als Zufall. Mit Hilfe eines Gutgeh-Tagebuchs soll ihm klar werden, was sein Anteil an dem neuen Erleben ist.

Die Identitätskontinuität seines Körpers ist für Ralf das wichtigste Ziel. Daher verwenden wir viel Zeit darauf, seinen Erlebnisraum ständig zu erweitern und Beziehungen zu festigen. Vor allem arbeite ich mit ihm daran, dass er diesen neuen Erlebnisraum auch nach der Therapie selbständig gestalten kann. Dabei ist die Botschaft, dass Gott Ralf als einen vollwertigen Mann ansieht, der sein Leben meistern kann und dem er dafür Kraft gegeben hat, Glaubenswissen, das ich Ralf durch seine eigenen Erfahrungen zugänglich mache.

8. Schritt: Multiplikation der Erfahrung

In der letzten Phase wird der Ratsuchende angeleitet, das neue Erleben auf viele verschiedene Lebensbereiche anzuwenden.

Ralf hat am Ende der Beratung gelernt, dass er nur dann ein verändertes Leben führen kann, wenn er sich weiterhin darum bemüht. Er hat gespürt: je mehr er sich in seinem Körper zu Hause fühlt, desto mehr nehmen seine homosexuellen Gefühle ab.

Ich erkläre ihm auch, dass Homosexualität etwas ist, das sich wieder verstärken kann, wenn er aufhört, achtsam mit seinem Bedürfnis umzugehen und seine lebensverändernde Praxis vernachlässigt.

Es braucht oft viele Jahre, bis sich die Identitätskontinuität in einer Person aufgebaut hat und das äußere Stützsystem von Beziehungen und Erlebnisräumen gänzlich abgelegt werden kann.

Was ist Veränderung?

Von daher stellt sich am Ende die Frage, was Veränderung ist. Wir dürfen sie uns nicht so vorstellen, dass ein homosexuell empfindender Mensch auf einmal genauso empfindet wie ein heterosexuell empfindender. Ein Mensch, der gewohnt ist, seine lebensgeschichtlichen Fragen über die Sexualität zu lösen, wird dazu neigen, in einer Krise diesen Weg erneut zu beschreiten.

Was sich aber verändert, ist die Lebensqualität. So nehmen die homosexuellen Gefühle deutlich ab, weil der Mensch sich den Hunger nach Identität in realen Beziehungen und Erlebnisräumen stillt. Gleichzeitig werden heterosexuelle Empfindungen zunehmen, denn derjenige, der sich in seinem Geschlecht zu Hause fühlt, ist für den Partner des anderen Geschlechts offen. Wer allerdings behauptet, ein homosexueller Gedanke mache einen Homosexuellen aus, der hat nichts von der Flexibilität und Formbarkeit der Sexualität verstanden. Denn selbst wenn eine Zunahme solcher Gefühle eintritt, kann der Betroffene immer fragen: “Was suche ich, um welches eigentliche Bedürfnis geht es?” So erwächst aus jedem homosexuellen Gedanken eine Frage, die dazu geeignet ist, eine Tür im Leben zu öffnen, damit Sehnsüchte gestillt werden, die zu leben ich mich bislang nicht getraut habe.

Verwendete Literatur

[1] Gindorf, Rolf, Homosexualität in der Geschichte der Sexualforschung; erschienen in: Gindorf, Rolf, Haeberle, Erwin J. (Hrsg.), Sexualität in unserer Gesellschaft; Berlin 1989, 5.26

[2] Schmidt, Gunter, Sexuelle Verhältnisse; Reinbek bei Hamburg 1998, S. 137

[3] Gagnon, John H., Stein Greenblat, Cathy, Kimmel, Michael, Bisexualität aus soziologischer Sicht; in: Haeberle, Erwin J., Gindorf, R. (Hrsg.), Bisexualitäten; Ideologie und Praxis des Sexualkontaktes mit beiden Geschlechtern; Stuttgart 1994, S. 72f.

[4] Gindorf, Rolf, a.a.O. S. 26; Hartmann, Uwe, Inhalte und Funktionen sexueller Phantasien; Stuttgart 1989, S. 6-27; Gagnon, John H., a.a.O S. 69-92; Gooß, Ulrich, Sexualwissenschaftliche Konzepte der Bisexualität von Männern; Stuttgart 1995,5.72-79

[5] Bell/Weinberg, Der Kinsey-Institut-Report für männliche und weibliche Homosexualität; München1978, 5.23

[6] Schmidt, Gunter, a.a.O. S. 139

[7] Alle Namen geändert!

[8] Die Fragen und Sehnsüchte von heterosexuell Empfindenden sind dabei noch nicht beschrieben. Aufgrund des Themas beschränken wir uns auf Beobachtungen, die den homosexuell empfindenden Menschen betreffen.

[9] Diese These wird von unterschiedlicher Seite belegt: Vgl. Nicolosi, Joseph, Reparative Therapy of Male Homosexuality; London 1991; Petri, Horst, Das Drama der Vaterentbehrung; Freiburg i.B. 1999; Corneau, Guy, Abwesende Väter, verlorene Söhne; Düsseldorf 1993; Brown, hyn, Gilligan, Carol, Die verlorene Stimme, Wendepunkte in der Entwicklung von Mädchen; München 1992; Josselson, Ruthellen, Der Weg zur mir; Frauen beschreiben ihr Selbst; Köln 1991; Chodorow, Nancy, Feminism and Psychoanalytic Theory; 1989; Fthenakis, Wassilios (Hrsg.), Engagierte Vaterschaft; Opladen 1999


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