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Ritzen bzw. Selbstverletzendes Verhalten bei Kindern & Jugendlichen

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Ritzen bzw. Selbstverletzendes Verhalten bei Kindern & Jugendlichen
©: ArtemFurman.com - Fotolia

Es ist der größte Horror für alle Eltern: Sie bemerken, dass sich ihr Kind selbst verletzt – mit Messern, Nadeln, Feuerzeugen oder anderen Gegenständen. Sie stehen diesem Verhalten machtlos gegenüber und schaffen es meist nicht, die Gründe für das Verhalten offenzulegen. Da das selbstverletzende Verhalten zumeist aus sehr tief liegenden Motivationen resultiert, kommen die Eltern allein durch Aufmerksamkeit und evtl. Gespräche mit ihrem Kind in der Regel nicht weiter. Zudem wird das selbstverletzende Verhalten hierzulande immer noch tabuisiert, wirklich fundierte Informationen und vor allem klare Handlungsanweisungen finden sich selten.

Doch muss in einem solchen Fall wirklich immer gleich ein Arzt bzw. Psychologe tätig werden? Und gibt es Möglichkeiten, durch präventive Maßnahmen selbstverletzendes Verhalten bei Kindern und Jugendlichen zu verhindern?

Um diese Fragen beantworten zu können, muss zunächst erörtert werden, was selbstverletzendes Verhalten überhaupt ist, wie es sich ausdrückt und welche Gründe und Motivationen sich dahinter verbergen.

Was ist selbstverletzendes Verhalten (SVV)?

Das klassische Beispiel selbstverletzenden Verhaltens: Das Kind ritzt sich mit einem Messer regelmäßig in den Arm, mit der Zeit bilden sich Narben, die ihrerseits oft wieder mit Schnitten geöffnet werden. Dies ist allerdings nur eine mögliche Ausdrucksform des selbstverletzenden Verhaltens. Generell fasst man unter „Selbstverletzendem Verhalten“ sämtliche Formen von Verhaltensweisen zusammen, mit denen sich der Betroffene selbst schädigt. Weitere Bezeichnungen dafür sind „Auto-Aggressionen“, „Parasuizidalität“ und „Selbstverstümmelung“.

Zudem gibt es mehrere Formen eines indirekt selbstverletzenden Verhaltens, zum Beispiel die Verweigerung der Nahrungsaufnahme (Hungerstreik), extensiver Alkohol- und Drogenkonsum oder bewusst ungeschützter Geschlechtsverkehr. Allerdings zeigen sich hier – im Gegensatz zum klassischen selbstverletzenden Verhalten – die Folgen nicht sofort, sondern erst nach einiger Zeit.

In den letzten Jahren wurde mehrfach versucht, selbstverletzendes Verhalten sinnvoll zu klassifizieren. Dabei setzte sich folgendes Schema durch:

  • Schwere Selbstverletzungen – alle Selbstverletzungen, die bleibende Gewebeschäden hinterlassen, bis hin zur Selbstamputation von Gliedmaßen.

  • Oberflächliche bis mittelschwere Selbstverletzungen – Selbstverletzungen, die keine oder nur leichte Spuren zurücklassen und nicht lebensbedrohlich sind.

  • Stereotype Selbstverletzungen – Selbstverletzungen, die über einen langen Zeitraum immer in der gleichen Weise ausgeführt werden, z. B. Schlagen des Kopfes an eine Wand.

Selbstverletzendes Verhalten erkennen

Wer meint, dass selbstverletzendes Verhalten leicht erkannt werden kann, der irrt sich gewaltig. Die Betroffenen sind oft wahre Meister im Verstecken und Vertuschen ihrer Handlungen. Daher müssen Eltern, Freunde und Verwandte bei einem entsprechenden Verdacht sehr wachsam sein. Trägt Ihr Kind plötzlich auch bei warmem Wetter langärmelige Kleidung? Weigert es sich, zum Strand oder ins Schwimmbad zu gehen? Oder zieht sich Ihr Kind oft zurück und schließt sich beispielsweise in seinem Zimmer ein? All das können Anzeichen für ein selbstverletzendes Verhalten sein.

Ursachen für selbstverletzendes Verhalten bei Kindern & Jugendlichen erkennen Bild Nr.:41147126
Ursachen für selbstverletzendes Verhalten bei Kindern & Jugendlichen erkennen
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Gründe für selbstverletzendes Verhalten

Selbstverletzendes Verhalten ist insbesondere bei Kindern und Jugendlichen immer ein Ausdruck intensiver Belastungen und fungiert sozusagen als Ventil, um zu versuchen, diese Belastungen loszuwerden. Die angesprochenen intensiven Belastungen können aus verschiedenen Szenarien resultieren, zum Beispiel aus familiären Zerwürfnissen, Missbrauchsfällen, Trennungssituationen und vielen mehr. Oft erweist sich das selbstverletzende Verhalten als kurzfristiger Ausweg aus extremen Drucksituationen, so dass der Betreffende zunehmend auch in weniger belastenden Situationen darauf zurückgreift. Dadurch entsteht ein Teufelskreis aus Anspannung und darauf folgender Entspannung, dem schwer wieder zu entfliehen ist.

Stereotype Selbstverletzungen entstehen darüber hinaus oft aus psychischen Störungen, besonders bekannt ist dabei das sogenannte Borderline-Syndrom. Derart Betroffene zeigen besondere Auffälligkeiten in ihrem Verhalten, z. B. heftige Stimmungsschwankungen, schlechte Aggressionskontrolle und geringere intellektuelle Leistungsfähigkeit. Anfällig für stereotype Selbstverletzungen sind insbesondere emotional überempfindliche und instabile Menschen, denen die „Routine“ der entsprechenden Handlungen Sicherheit und Halt im Leben gibt.

Kinder und Jugendliche, die sich selbst verletzen, empfinden dabei meist positive Gefühle, z. B. Ruhe und Entspannung. Außerdem genießen sie das (trügerische) Gefühl, scheinbar eine maximale Kontrolle über ihren Körper zu haben.

Wie Sie als Eltern bei selbstverletzendem Verhalten richtig reagieren

Die meisten Eltern überfällt ein Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit, wenn sie das selbstverletzende Verhalten bei ihrem Kind bemerken. Wichtig ist es in diesem Fall, nicht die Nerven zu verlieren und in blinden Aktionismus zu verfallen. Der sofortige Ruf nach einer Klinik oder einem Psychiater wird beim Betroffenen zunächst eine Ablehnungs- und Abwehrreaktion hervorrufen. Auch Schuldzuweisungen sollten tunlichst vermieden werden. Sätze wie „Warum tust du deinen Eltern das an?“ werden in keinem Fall zu befriedigenden Ergebnissen führen, sondern das Kind bzw. den Jugendlichen noch mehr in die Isolation treiben.

Zeigen Sie sich verständnisvoll und geben Sie ruhig zu, dass Sie ratlos sind. So nehmen Sie dem Betroffenen den Druck einer sofortigen Handlungs- bzw. Unterlassungsaufforderung. Machen Sie Ihrem Kind klar, dass Sie auch weiterhin Vertrauen zu ihm haben und die Beweggründe für sein Verhalten verstehen möchten. Finden Sie eine geeignete Ebene zur Kommunikation mit Ihrem Kind.

Wichtig ist außerdem, das Kind in seinem Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl zu stärken. Dies erreichen Sie mit ehrlichem Lob und Anerkennung für erzielte Erfolge. Dabei sollten schon kleinste Fortschritte entsprechend honoriert werden.

Mögliche Präventionsmaßnahmen

Da die Ausprägungen von selbstverletzendem Verhalten so vielseitig und die Symptome schwer zu erkennen sind, gestalten sich Präventionsmaßnahmen sehr schwierig. Eine Vorhersage, ob ein Kind oder Jugendlicher zu Selbstverletzungen neigt, ist fast nicht möglich. Es können lediglich universelle Präventionsmaßnahmen durchgeführt werden, die vorrangig dazu dienen, risikoerhöhende Faktoren zu mindern und Kinder und Jugendliche allgemein emotional und sozial zu festigen. Dazu gehören Gruppengespräche, Aufklärungskampagnen, Stress- und Emotionsbewältigungsprogramme, Problemlösefähigkeitstrainings und Entspannungstechniken.

Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen

Erste Anlaufstellen bei selbstverletzendem Verhalten können Telefonseelsorgen, spezielle Hilfenetzwerke oder themenaffine Internetseiten sein. Dort werden betroffene Eltern in der Regel an Experten (z. B. Psychotherapeuten) weiter verwiesen. Hier einige Adressen für eine erste Kontaktaufnahme:

Selbstverletzendes Verhalten in Kinder- und Jugendgruppen erkennen

Für Gruppenleiter ist es eine noch schwierigere Aufgabe als für Eltern, ein selbstverletzendes Verhalten zu erkennen. Sie können sich nicht auf ein einzelnes Kind fokussieren, außerdem fehlt ihnen der tiefergehende emotionale Bezug zu eventuell betroffenen Kindern und Jugendlichen. Nichtsdestotrotz gibt es Anzeichen, die auf ein selbstverletzendes Verhalten hindeuten können. Neben den bereits genannten könnten dies auch ein Abkapseln von der Gruppe, leichte Reizbarkeit und immer wiederkehrende emotionale Abwesenheit sein.

Auch wenn ein Jugendlicher Schnittwunden o.ä. Verletzungen an Armen oder Beinen hat, kann dies auf eine Selbstverletzung hindeuten. Ebenso reden die Jugendlichen untereinander vielleicht auch über so ein Thema und ein aufmerksamer Jugendleiter kann da auch den ein oder anderen Hinweis erhalten.

Wie oben schon beschrieben nützt es nichts dem Jugendlichen hier mit Vorwürfen (wie kannst Du nur….), oder mit unverständnisvoller Miene eine Gespräch zu führen. Es ist eher wichtig den Jugendlichen ernst zu nehmen, sich Zeit für ihn zu nehmen und zuzuhören. Du kannst dem Jugendlichen schon Deine Besorgnis ausdrücken und ihm Deine Hilfe und Unterstützung anbieten. Akzeptiere oder rechne aber auch damit, dass der Jugendliche sich nicht helfen lassen will. Trotzdem gib ihm das Gefühl, dass Du ihm helfen willst, Zeit hast und er sich an Dich wenden kann.

Ich denke wichtig ist, dass wir die Ursachen und Hintergründe für das Ritzen, oder andere selbstverletzenden Handlungen verstehen lernen. Ich möchte nochmals kurz hier die Stichpunkte zusammen fassend aufführen.

Ursachen:

  • Schuldgefühle des Jugendlichen – ich bin ja immer schuld

  • Der Jugendliche hält nichts von sich (kann nichts, bin nichts)

  • Familiäre Probleme (Trennung der Eltern), fehlende Liebe, Zuwendung und Aufmerksamkeit

  • Innere Leere

  • Fehlende Konfliktfähigkeit, geringe seelische bzw. psychische Belastungsfähigkeit, wenn sich der Jugendliche überfordert fühlt

Das bewirkt das Ritzen:

  • Bestrafung an sich selbst

  • Der seelische bzw. psychische Schmerz entlädt sich beim Ritzen bzw. beim Selbst-Verletzen. Eine vermeintliche Entspannung tritt ein.

  • Aufmerksamkeit/Hilfeschrei

Beobachtungen:

  • Mädchen sind stärker betroffen (Mädchen richten ihre Aggressionen eher gegen sich selbst, Jungs lassen ihre Aggressionen eher an anderen aus).

  • Die Jugendlichen versuchen ihre Selbstverletzungen zu vertuschen – Ausnahme: wenn diese als Hilfeschrei dienen sollen, oder um fehlende Aufmerksamkeit zu bekommen.

Hilfsmöglichkeiten:

  • Beratungsstellen aufsuchen, die einen beraten und Tipps für ein Gespräch mit dem Betroffenen geben

  • Behutsam mit dem Jugendlichen reden, Hilfe anbieten, Mut machen sich professionelle Hilfe zu holen, Unterstützen anbieten ggf. gemeinsam zu einer Beratungsstelle zu gehen.

In meiner Jugendgruppe war einmal ein Jugendlicher, dessen beste Freundin sich immer wieder geritzt hat. Er war sehr verzweifelt und wusste nicht was er tun sollte. Ich weiß leider nicht, was daraus geworden ist – aber ich habe ihm den Rat gegeben, dass er viel mit ihr spricht und ihr Mut macht sich professionelle Unterstützung von einem Therapeuten zu holen. Man muss viel Geduld aufbringen.

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